Titel
Kroniek van het Jiddisj. Taalkundige aspecten van achttiende-eeuws Nederlands Jiddisch


Autor(en)
Zwiers, Ariane
Erschienen
Anzahl Seiten
616 S.
Preis
€ 44,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Evi Butzer, Institut für Jüdische Studien, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Auf Grundlage von drei jiddischen Chroniken aus Amsterdam aus der Zeit um 1800 erforscht Ariane Zwiers die jiddische Sprache der Niederlande. Im Zuge der jüdischen Einwanderung in die Vereinigten Nördlichen Niederlande entwickelten die Aschkenasim (die aus dem Deutschen Reich und aus Polen stammenden Juden) ihren eigenen jiddischen Dialekt, der sich deutlich vom Ostjiddischen, aber auch von den in den deutschen Gebieten gesprochenen westjiddischen Dialekten unterschied. Die jiddische literarische Produktion erlebte im 17. Jahrhundert in Amsterdam eine Blütezeit. Für ganz Europa wurden hier Bücher gedruckt und von hier aus nach West- und Osteuropa versandt. Amsterdamer Druckereien waren für die Herausbildung einer jiddischen Orthografie von zentraler Bedeutung. Das Jiddische wurde zu allen Zeiten in hebräischen Schriftzeichen und in nur wenigen Ausnahmefällen in lateinischen geschrieben und gedruckt. Die handschriftlichen Überlieferungen, die erst in den letzten Jahren in den Blick der Forschung gerückt sind 1, spiegeln ungleich stärker als die gedruckten Werke das niederländische Jiddisch und sind insofern für sprachliche und sprachgeschichtliche Untersuchungen besonders geeignet.

Die Chroniken, die Zwiers ihrer Forschung zugrunde legt, berichten politische und soziale Ereignisse ihrer Zeit aus einer jüdischen Perspektive. Sie richten sich an ein niederländisch-jiddisches Lesepublikum. Alle drei Autoren dieser so genannten ‚Ego-Texte’ lebten in Amsterdam, so dass man ihre Sprache auch als ‚Amsterdamer Jiddisch’, so Zwiers, bezeichnen kann. Abraham Chaim ben Zevi Hirsch Braatbard (1699-1784), von Beruf Geldwechsler, beschreibt die politische Situation der Vereinigten Nördlichen Niederlande aus der Sicht der einfachen jüdischen Bevölkerung. Er beginnt im Jahre 1740 mit einem Bericht über die Überflutung großer Landesteile, widmet sich dann den innen- und außenpolitischen Konflikten, um schließlich mit Ereignissen in der aschkenasischen Gemeinde Amsterdams 1752 zu schließen. Braatbards Handschrift umfasst insgesamt 200 Folioseiten und gibt dem Leser einen Einblick in die emotionale Seite der Geschichte.

Die Chronik des Amsterdamer Fassbinders Salman ben Mosche Prinz (gestorben 1806) ist nur als Druck überliefert (Amsterdam 1788). Prinz schildert die Ereignisse der Jahre 1784 bis 1788. Politisch auf der Seite des Herrscherhauses stehend, kritisiert er die aufständischen Patrioten, die sich der Stadt Amsterdam für kurze Zeit bemächtigten. B. I. Benjamins Bendit ben Eisik Wings Chronik ragt schon in das 19. Jahrhundert hinein (sie endet im Jahre 1815). Diese, mit dem Titel Le-zikaron („zur Erinnerung“) versehene Handschrift liegt in mehreren Fassungen und in insgesamt 10 Teilbänden vor. Sie wurde von einem anderen Schreiber kopiert, dessen eigene Bearbeitung des Werkes noch nicht untersucht ist. Wing ist, im Unterschied zu den beiden anderen Chronikschreibern, gebildet, fromm und vermögend. Politisch steht er wie sie auf der Seite des Herrscherhauses und hält in den revolutionären ‚Wirren’, die zu einer vorübergehenden Spaltung der aschkenasischen Gemeinde führten 2, an den alten Macht- und Herrschaftsstrukturen fest. Seine Chronik beginnt mit dem Jahr 1795.

Zwiers’ Forschungsinteresse ist auf die sprachliche Assimilation der aschkenasischen Juden Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts gerichtet. Die sprachliche Veränderung in der Zeit der revolutionären Bewegungen in den Niederlanden wurde sowohl aus den eigenen Reihen der Aschkenasim motiviert, als auch (und in einem weit einflussreicheren Maße) durch die Sprachpolitik der napoleonischen und nachnapoleonischen Ära. Zwiers geht davon aus, dass sich ein vom Niederländischen beeinflusstes Jiddisch (Nederlands Jiddisj) zu einem durch das Jiddische beeinflusste Niederländisch (Joods-Nederlands) entwickelte. Ende des 18. Jahrhunderts stand, so ihre Annahme, das Jiddische an der Schwelle zum ‚Jüdisch-Niederländischen’.3

Zwiers „Kroniek van het Jiddisj“ ist in drei Hauptteile und 12 Kapitel gegliedert. Neben der Einleitung (Teil I) und dem sprachwissenschaftlichen Teil der Monografie (Teil III) ist der zweite Teil der Edition der Chroniken gewidmet. Zwiers gibt den originalen hebräisch-schriftlichen Text wieder, daneben eine lateinschriftliche Transkription und eine Übersetzung ins Niederländische. Die Chronik Mosche Prinz’ ist vollständig abgedruckt, die beiden anderen Texte in Auszügen, so dass sie auch Historikern und Literaturwissenschaftlern für weitere Studien in einer angenehm lesbaren Form zur Verfügung stehen. Im fünften Kapitel der Einleitung finden sich nützliche Hinführungen zu diesen Texten, wie etwa eine Beschreibung der Textträger und kurze Angaben zu Verfasser und Inhalt der Schriften.

Die sprachwissenschaftliche und sprachgeschichtliche Seite ihrer Untersuchung wird mit einem einführenden 10. Kapitel eröffnet, in dem sie die in den Chroniken beobachteten Phänomene auf bereits vorhandene Untersuchungen zu morphosyntaktischen Charakteristika des niederländischen Jiddisch in Beziehung setzt. Um die sprachliche Assimilation des Jiddischen zu untersuchen, muss man, so auch Zwiers, stets zugrunde legen, dass das Jiddische selbst auf eine ‚innere Zweisprachigkeit’ (Max Weinreich) gegründet ist. Seit das Jiddische existiert, hat es sich aus einer deutschen und einer hebräisch-aramäischen Komponente zusammengesetzt.4 Slawische Einflüsse kamen mit der Einwanderung nach Tschechien und Polen hinzu, so dass das heutige Standardjiddisch sich hauptsächlich aus diesen drei Elementen zusammenfügt. Zwiers beschränkt sich, sicherlich aufgrund dieser ‚komplexen’ sprachlichen Situation des Jiddischen im Allgemeinen, auf lexikalische und phonemisch-grafemische Aspekte der jiddischen Chroniken. Besonders interessant sind die Erhebungen zu den hebräisch-aramäischen Wörtern. Zwiers stellt fest, wo auf bereits bekannte hebräische Wörter des Jiddischen zurückgegriffen wird und wo (neue) Lehnwörter eingefügt werden und damit beispielsweise den Gebrauch eines Synonyms aus der deutschen Komponente des Jiddischen oder auch eines niederländischen Lehnwortes verdrängen. So zeigt sich besonders beim Chronisten Wing der vermehrte Gebrauch hebräischer Lehnwörter, den Zwiers mit dem sozial-religiösen Status des Verfassers in Verbindung bringt. Die Aufnahme niederländischer Wörter führt in keiner der drei Chroniken zu einer Verdrängung oder einem Ersetzen jiddischer Wörter. Man gibt spezifisch niederländische Namen und Begriffe in der im Jiddischen gebräuchlichen Aussprache mit hebräischen Schriftzeichen wider (nur Wing fügt Lateinschriftliches zwischen den Text). Bezüglich der Aufnahme niederländischer Ausdrücke ins Jiddische erweist sich vor allem die Chronik Braatbards als besonders produktiv. Französisches ist, so das Ergebnis Zwiers, stets durch das Niederländische vermittelt und insofern oftmals kaum noch als solches erkennbar in die Chroniken geflossen.

Die Analyse des phonemisch-grafemischen Aspektes bezieht Zwiers zum einen auf das gesprochene Niederländisch und zum anderen auf die schriftliche Tradition des Jiddischen. An der Schreibweise hebräisch-aramäischer Wörter werden dialektale Einflüsse besonders deutlich, weil sie seit ihrer Aufnahme ins Jiddische in einem weit größeren Maße als die Wörter der deutschen Komponente einer Schreibnorm unterlagen. So zeigt sich etwa bei Braatbard die spezifisch niederländisch-jiddische Aussprache an hebräisch-aramäischen Wörtern, die er eher nach Gehör als in der traditionellen Schreibweise niederschrieb. Wing hingegen bleibt der traditionellen Schreibweise treu und bemüht sich, auch bezüglich der deutschen Komponente des Jiddischen und bezüglich der aufgenommenen niederländischen Wörter, eine Angleichung an die lateinschriftliche Orthografie zu vollziehen (z.B. in der Verdopplung von Konsonanten). Insgesamt ist er daran interessiert, ein mit hebräischen Wörtern bereichertes schriftliches Jiddisch zu schreiben. Interessant wäre hier sicherlich eine eingängigere Untersuchung der sprachlichen Bearbeitungen, die an Wings Handschrift vorgenommen wurden.

Zwiers stützt ihre sprachwissenschaftliche Forschung auf Hartog Beem (1893-1987), Dovid Katz (Vilnius) und Marion Aptroot (Düsseldorf). Methodisch orientiert sie sich an der jiddischen Sprachwissenschaft und Sprachgeschichte von Erika Timm und Simon Neuberg (beide Trier). Es wäre insgesamt ein Gewinn gewesen, die im ersten Teil gestellten Fragen, so etwa die des vierten Kapitels über ‚Sprachkontakt’, am Ende des Buches noch einmal dezidiert aufgegriffen zu finden. So liest man im ersten Teil viele allgemein gehaltene und hypothetisch formulierte Aussagen, die, fokussiert auf die Chroniktexte, zumindest teilweise hätten präzisiert werden können. Ariane Zwiers’ Buch ist allerdings dank des ausführlichen ersten Teils auch eine allgemeine Einführung ins niederländische Jiddisch. Hier werden die Zusammenhänge von Migration, Sprache und Politik auf der Grundlage aktueller Forschung erläutert, die in dieser komprimierten Form einer niederländisch lesenden Öffentlichkeit bisher nicht zugänglich waren.

Anmerkungen:
1 Seit 1999 arbeitet die Forschungsgruppe ‚Jiddisch in den Niederlanden’ an der Universiteit van Amsterdam und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf mit derzeit vier laufenden Forschungsprojekten. Verwiesen sei an dieser Stelle auf die Edition einer Reisebeschreibung aus dem Jahre 1764: Travels among Jews and Gentiles: Abraham Levie’s Travelogue, hrsg. v. S. Berger, Leiden 2002.
2 Die Streitigkeiten zwischen den Gemeinden wurden in Form von polemischen Pamphleten auf Jiddisch ausgetragen. Vgl. die Auswahledition dieser sogenannten „diskursn“ von Aptroot, M (Hg.), Storm in the Community. Yiddish Polemical Pamphlets of Amsterdam Jewry 1797-1798, Cincinnati 2002.
3 Dieser Begriff ist mit demjenigen des ‚Jüdisch-Deutschen’ vergleichbar. Man bezeichnet damit die an die jeweilige Nationalsprache angeglichene jüdische Sprache, die nach wie vor mit hebräischen Zeichen geschrieben wird.
4 Daneben ist ein weiteres, jedoch entschieden kleineres romanisches Element zu nennen.

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